In meinem Blog findest du spannende Reiseberichte und interessante Tipps und Tricks rund um das Thema Reisen!
Seit 1992 biete ich unter dem Label MOTTOUREN einzigartige Motorradreisen an. Schwerpunkte sind inzwischen Russland mit Sibirien bis in die Mongolei, Polen, Tschechien, die baltischen Staaten, Armenien und Georgien und der Osten Deutschlands, alles Ziele abseits ausgetretener Pfade. Du suchst Geschichten dazu, gespickt mit Informationen? Dann bist Du hier richtig. In loser Folge nehme ich Dich mit auf meine Reisen.
Starten wir mit Kurland in Lettland
Kurzeme? - Kurland? - Was?
Nicht nur von seiner geschichtlichen Bedeutung her, sondern auch von der Vielfalt der Landschaften ist Kurland / Kurzeme eine der spannendsten Regionen Lettlands. Westlich der Hauptstadt Riga gelegen, unterscheidet sich deutlich von den restlichen drei Landesteilen Lettlands.
Wie fast immer, wenn es mich in die baltischen Staaten zieht, wähle ich den entspannten Anreiseweg, den mit der DFDS Fähre von Kiel nach Klaipeda. Dadurch kann ich den langen Weg über Land durch Polen deutlich abzukürzen. Zwischen zwei größeren Touren hatte ich 10 Tage Zeit. Schon lange hatte ich mir vorgenommen einmal in aller Ruhe in Kurland unterwegs zu sein, um das nachzuholen, was ich bisher nicht ansehen und fotografieren konnte.
Nur mal so unterwegs zu sein, ohne Verantwortung, mich ein wenig treiben zu lassen. Aber nicht alleine. Ein Telefonat reichte. Meinen Freund Jens musste ich nicht erst lange überreden. Der Termin passt und schon kurze Zeit später berühren die Reifen unserer Motorräder litauischen Boden. Knapp zwei Stunden später erreichen wir Lettland.
Die ehemalige litauisch-lettische Grenze ist verwaist, die Grenzabfertigungsgebäude verfallen. Ein Fahrzeug der litauischen Grenzer parkt neben der Straße. Keine Ahnung, wen oder was die da kontrollieren wollen. Wir bleiben unbehelligt. Unser erster Stopp ist der Pape See im gleichnamigen Nationalpark. Wir waren beide schon mal da, um Wildpferde zu fotografieren, aber ohne Erfolg. Heute sieht es besser aus. Allerdings ist es sehr heiß und die Tiere stehen träge in der Sonne. So ein bisschen Bewegung wäre schön. Aber sie tun uns den Gefallen nicht. Erst als wir uns mit der Rangerin auf den Rückweg machen, kommt Bewegung in die Herde und es gelingen Jens einige gute Bilder.
Kurz danach sind wir in Liepaja. Es gibt dort preiswertere Hotels, aber immer wenn ich mir hier etwas Besonderes gönnen will, übernachte ich im Hotel Promenade, Direkt am Hafen ist es in einem umgebauten alten Speicher untergebracht, gegenüber der neuen Konzerthalle Concert Hall „Great Amber“. Jens ist zwar eher sparsamer, aber ich kann ihn überzeugen, mal die etwas teurere Variante zu wählen. Und er ist beeindruckt.
Nach dem großartigen Frühstück hält uns am nächsten Morgen nichts mehr zurück. Fix sind wir auf den Maschinen, um die paar Kilometer in den nördlichen Stadtteil nach Karosta zu düsen, um uns die Anlagen dieser ehemaligen Militärstadt mal genau anschauen. Sie war zu Sowjetzeiten auf Landkarten nicht verzeichnet.
An der alten Drehbrücke über den Karosta Kanal stoppen wir. Und haben Glück. Es kommt ein Schiff und wir können die 1906 erbaute Brücke in Aktion sehen. Sie ist die einzige Brücke dieser Art in Lettland und noch immer in Betrieb. Beim Fotografieren bietet uns ein Angler erst mal einen Wodka an. Es ist vormittags! Nein danke.
Ursprünglich war Karosta, dessen Name sich vom lettischen Wort für Kriegshafen ableitet, ein Stützpunkt der Russischen Ostseeflotte. Auf Anordnung von Zar Alexander III. entstand hier ab 1890 ein eigener Militärstadtteil. Der Standort war wegen seiner ganzjährigen Eisfreiheit und seiner Nähe zur deutschen Grenze bei Nimmersatt gewählt worden. Drumherum wurden gewaltige Befestigungsanlagen errichtet.
Einer dieser Orte in Karosta hat es mir besonders angetan: das Gefängnismuseum. Hier waren wir mit meinen Freund Chris zu einem Rundgang verabredet. Leider war er kurzfristig verhindert und so nahm uns Juris in Empfang.
Das Gefängnis von Karosta in der Invalidu Straße 4 wurde als Militärkrankenhaus gebaut, jedoch nie als solches verwendet. Denn schon 1905 wurden hier in Ermangelung eines Gefängnisses, das man beim Bau der Garnisonsstadt vergessen hatte, die Seeleute eingesperrt, die an den revolutionären Ereignissen des Jahres teilgenommen hatten. Das schien eine sehr gute Idee zu sein, denn fortan diente der Bau als Gefängnis der Hauptwache sowohl für die Sowjetarmee, für die Wehrmacht und für die Marinetruppen der lettischen Armee. In über 90 Jahren wechselten die Häftlinge und die Mächte: Aufmüpfige Matrosen der Zarenarmee, Soldaten der Roten Armee und der Armee Lettlands wurden hier drangsaliert, Deserteure der deutschen Wehrmacht eingesperrt, verurteilt und hingerichtet. Wärtergebrüll, Strafappelle, dunkle Zellen. Die an den Zellenwänden von Inhaftierten hinterlassenen letzten Spuren stammen noch aus dem Jahr 1997. Gegen Eintritt kann heute die Hauptwache besichtigen werden. Es gibt Aufführungen und Besucher können in einer Zelle übernachten, in einer Kantine sowjetischer Art speisen. Ein düsterer Ort, in dem Menschen unterdrückt, gebrochen wurden. Wir sind schon froh, als wir nach zwei Stunden mit Juris auf dem Hof in der Sonne stehen, jeder von uns eine Tasse Kaffee in der Hand und wissen, dass wir gleich davon fahren können. Juris hat uns den sowjetischen Knastalltag sehr lebensecht nachempfinden lassen. Draußen bringt einer seiner uniformierten Kollegen einer Besuchergruppe gerade den Einmarsch in den Knast im Laufschritt bei.
Durch die Auflösung der Sowjetunion wurde Lettland wieder unabhängig, die sowjetischen Truppen mussten abziehen. Nach Verlegung der etwa 25.000 Soldaten mit ihren Atom-U-Booten und Kriegsschiffen war Karosta verlassen, wurde ein verwahrloster und nur zum Teil bewohnter Stadtteil Liepajas.
Der Gegensatz ist schwer zu ertragen. Hundertjährige Prachtalleen zeigen bis heute einen Hauch zaristischer Eleganz, aber in den lichten Birkenwäldchen sind ganze Straßenzüge vollkommen unbewohnt, Türen und Fenstern zugemauert, verfallen zwischen den Festungsruinen, Offiziersvillen und der orthodoxen Nikolai-Kathedrale, die der Sowjetarmee als Kino und Sporthalle gedient hatte.
Schon wenige Jahre nach Fertigstellung erwies sich die Nördliche Festung als Fehlplanung. Den Kanonen fehlte es an Reichweite, um gegebenenfalls angreifende Schiffe abwehren zu können. Ohne wirkliche Funktion sollte sie gesprengt werden. Doch das funktionierte nur zum Teil, sie war zu massiv gebaut. So überließ man den Rest der Ostsee, dem Wind und dem Wetter. Die Anlage mit ihren unterirdischen Gängen, Schutzräumen und Treppen zieht sich Hunderte von Metern an der Küste entlang. Surrealistisch wirkt das Ganze. Im letzten Jahr konnte ich noch mit dem Motorrad zwischen den Bunkern trailen. Inzwischen ist die Zufahrt für Kfz gesperrt. Aber wenn man sich ein wenig auskennt…
Zwischen den Bunkern sind kleine Buchten entstanden, die gerne von Badegästen genutzt werden. Belebter geht es auf der 1.800 Meter langen Nordmole zu. Jungens springt von der Mole in den Sand. Wir kommen noch mit zwei Anglern ins Gespräch, von denen der eine drei Jahre als sowjetischer Soldat in Dresden zum Militärdienst war, unweit von Jens´ Heimat.
Unser Weg führt uns weiter nach Norden, immer entlang an der Ostsee. Wann immer es passt, verlassen wir die geteerten Straßen und finden großartige Schotterstrecken. In Pavilosta suchen wir uns ein Zimmer und erkunden den Ort zu Fuß. Da dieser gesamte Küstenbereich seinerzeit vom sowjetischen Militär besetzt war, ist der Strand heute noch nahezu unberührt. Wir machen einen Spaziergang am Strand entlang und - ich finde tatsächlich einen Bernstein.
Nördlich des Ortes beginnt Richtung Jurkalne eine bis zu 20 Meter hohe Steilküste, die durch Erdrutsche entstanden ist. Fast menschenleer ist es hier, mitten im Sommer! Ganz anders als an der Lübecker Bucht, auf Rügen oder Usedom. Allein deswegen kann sich die Reise hierher schon lohnen.
Rund 30 Kilometer von der Ostsee entfernt liegt Kuldiga, die wichtigste Stadt der Region. Kaum zu glauben, dass der Ort unter seinem Namen Goldingen einmal Mitglied der Hanse war. Und doch stimmt es. Über die Venta, ein nach damaligen Maßstäben ausreichend schiffbarer Fluss, wurde die Ostsee erreicht und damit alles was wichtig war. Schiffbau wurde hier betrieben und in seiner Blütezeit war das Herzogtum Kurland das kleinste europäische Land, das im 17. Jahrhundert Kolonien in Gambia und Tobago unterhielt.
Kuldigas Stolz ist Ventas rumba, der Wasserfall auf der Venta, mit 240 m der breiteste natürliche Wasserfall in Europa. In Sichtweite befindet sich die zweite Sehenswürdigkeit Kuldigas, die 1874 erbaute Brücke über die Venta, eine der längsten Backsteinbrücken in Europa.
Grund genug, uns hier etwas länger aufzuhalten, einem Brautpaar zuzusehen und ein Bad im Fluss zunehmen. Jens und zwei Jungen aus Estland versuchen sich in einem Wettbewerb der coolsten Sprünge, dann schlendern wir noch über den alten Burghügel, der heute ein Skulpturenpark ist und in der Altstadt durch die Gassen und Höfe der hölzernen Kaufmanns- und Handwerkerhäuser aus dem 17. und 18. Jahrhundert.
Eigentlich wollten wir danach gleich wieder an die Küste zurück, aber Jens war noch nicht in Sabile gewesen und das musste ich ihm unbedingt zeigen.
Wir nutzen wieder einige Schotterstrecken um dorthin zu gelangen. Die Straße schlängelt sich hinunter in ein altes Urstromtal. Zwischen Apfelbäumen sehen wir eine Installation von weißen Gestellen. Wir stoppen und versuchen herauszufinden, was das sein soll. Aber ein Zaun hindert uns an einer genaueren Erkundung, kein Schild informiert. Schade. Später erfahren wir, dass es sich hier um das Kunstobjekt “Stone. Message” des Open-Air Kunst Museums von Pedvāle handelt.
Das in der Kurländischen Schweiz gelegene Sabile ist schon ein ungewöhnlicher Ort. Neben dem nördlichsten Weinberg der Welt, testiert durch einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde, auf dem seit der Schwertbrüderzeit Wein kultiviert wird, hat es eine weitere Besonderheit aufzuweisen.
Gleich um die Ecke, direkt an der Hauptstraße, empfangen uns in einem Vorgarten freundliche Gesichter. Sie gehören zu zahlreichen großen und kleinen Puppen. Ein Dnjeprgespann steht mitten in diesem etwas skurrilen Bild. Anlässlich eines Mittsommerfestes stellte Daina Kucere vor Jahren ihre erste Puppe her. Ihre Nachbarn waren begeistert. So machte sie mit ihrem Mann weiter. Inzwischen sind es über 300. Aber sie werden nicht nur mehr, Daina hegt und pflegt das kleine Volk, denn es muss von Zeit zu Zeit erneuert und ausgetauscht werden. Ich setze mich zu ihr auf eine Bank und wir beobachten das Puppenvolk vor uns. Zu einigen erzählt sie mir eine Geschichte. Schade, dass wir weiter müssen. Mal sehen, wer im nächsten Sommer dazu gekommen ist.
Hier in der Kurländischen Schweiz gibt es viele kleine Gutshäuser, in denen man übernachten könnte. Nicht immer preiswert, sind sie aber oft beeindruckend. Aber es zieht uns wieder an die Küste.
Kurland ist nach dem baltischen Volk der Kuren benannt. Gemeinsam mit den Prußen und den Liven hatten sie eine führende Rolle unter den baltischen Stämmen inne. Durch Wälder und weite Felder erreichen wir an der Mündung des Flusses Venta die Hafenstadt Ventspils. Von der ehemaligen Hansestadt starteten die Flotten, um Kurlands Kolonien in Amerika und Afrika zu erobern. Dank seines eisfreien Hafens ist Ventspils der wichtigste Umschlagort für russisches Öl und Kohle an der Ostsee. Fähren der Stena Line starten von hier aus nach Travemünde und Nynäshamn in Schweden.
Der dann folgende Küstenabschnitt bis zum Kap Kolka ist einer der interessantesten. Jahrzehntelang war dieses Gebiet als Westgrenze der UdSSR für unbefugte Personen nicht erreichbar. Angeblich um das Naturreservat von Slitere zu schützen, tatsächlich aber gab es hier wichtige militärische Objekte. Dazu gehörte das Zentrum für Radioastronomie in Irbebe, ein Objekt, dessen Existenz erst nach Lettlands Unabhängigkeit 1993 bekannt wurde. Der kleine Abstecher von der Küstenstraße lohnt sich. Beeindruckende Radioteleskop-Schüsseln ragen dort in den Himmel. Mit ihren wurden Telefongesprächen und der Rundfunk der NATO-Länder abgehört. Heute werden hier nur Sterne beobachtet und das Weltall abgehört. In den kleinen Fischerdörfern innerhalb des Slitere Nationalparks leben die letzten Vertreter der Liven. Dieses finnougrische Volk ist heute so gut wie ausgestorben.
Dann erreichen wir Kolka, ein Fischerort am gleichnamigen Kap, an dem sich Ostsee und Rigaer Meerbusen treffen. Im Ort ist auch die letzte Hütte vermietet, aber wir bekommen einen Tipp, der sich als Glücksfall herausstellt. Mitten im Wald gelangen wir zu einem einsamen Gehöft mit netten Gastgebern. Als wir anhalten, kommt ein etwa 12jähriger Junge heraus und fragt uns in überraschend gutem Englisch über die Technik unserer Motorräder aus. Dann zeigt er uns sein Moped und wir verabreden uns zu einem gemeinsamen Ausflug. Klar, dass Juris es uns zeigen will. Mit seinem Moped fliegt er nur so über die Waldwege. Auf der Sandpassage legt Jens sein Dickschiff seitlich ab und prellt sich den Knöchel. Aber er lässt sich nichts anmerken und wir düsen weiter. Nach einer Stunde geht es zurück und wir machen noch eine Fotosession.
Am Ende einer 6 km langen Sandbank vor Kolkas rags warnt ein Leuchtturm vor den Gefahren in diesem Bereich. Mit seiner Fertigstellung endete auch eine Einkommensmöglichkeit der Bewohner der Region, nämlich das Ausrauben gestrandeter Schiffe am Kap.
Weiter geht es nach Südosten an der Rigaer Bucht entlang in Richtung lettische Hauptstadt. Entlang der insgesamt 300 Kilometer langen Küste Kurzemes treffen wir gelegentlich auf kleine Fischerdörfer, selten größerer Orte, in denen auch ein Kaffee zu bekommen ist. Der Küstenabschnitt bei Kaltene mit den Strandkiefern und den im Wasser liegenden unzähligen Felsen animiert uns zu einer längeren Pause.
Riga und Jurmala, den größten Kurort des Baltikums, lassen wir im wahrsten Wortsinne links liegen. Uns ist dieses Mal nach weniger Menschen. Durch den Nationalpark Kemeri erreichen wir Jelgava, das bis 1919 als Mitau die Hauptstadt von Kurland und adelig geprägt war, im Gegensatz zum hanseatischen Riga.
Bis jetzt haben wir Glück mit dem Wetter. Doch nun wechseln sich Regenschauer und wunderschöne Wolkenbilder mit riesigen Regenbögen ab. Nach einer bildgewaltigen Fahrt erreichen wir gegen 21 Uhr Liepaja. Nun noch in eine Hotelbar und mal die Mails checken. Hier geraten wir in einen finnischen Junggesellenabschied mit blondem Bier und blonden Mädchen. Mit einigen der Jungs, die noch ansatzweise nüchtern sind, kommen wir ins Gespräch. Am Ende glauben sie uns auf einer Weltreise, wir bekommen einen Drink in die Hand gedrückt und werden von der grölenden Gruppe gefeiert. Schon etwas schrill. Um 1.30 Uhr soll unsere Fähre losfahren. Gegen Mitternacht halten wir am Ticketschalter der Stena Line im Hafen. Vor dem Gebäude steht eine 1100 GS mit Hamburgern Kennzeichen. In der Halle treffen wir auf Bernd. Wir fahren an Bord und klönen dann noch bis in den frühen Morgen. In Travemünde trennen sich erst mal unsere Wege. Unser kleines Abenteuer geht mit vielen neuen Träumen zu Ende. Einer gefällt Jens ganz besonders. Bernd segelt seit mehreren Jahren mit seinen Boot durch Südostasien und hat uns angeboten, ihn doch mal paar Wochen zu begleiten. Im Gegensatz zu Jens, der das Angebot annimmt, bin ich kein Segler, aber das wäre doch mal was ganz anderes.